Magazin Notabene

«Am Anfang steht die Neugier»

Christoph Anzböck ist als Kirchenmusiker und Chorleiter in Muri wohlbekannt. Seit Oktober 2024 leitet er zusätzlich das Ressort Musik in der Klosterkirche von Murikultur.

April 2025

  • Musik in der Klosterkirche
  • Persönlich

Was hat Sie bewegt, die Reihe Musik in der Klosterkirche zu übernehmen?
Schon die Situation in Muri ist einzigartig. Mindestens in der Schweiz gibt es nichts Vergleichbares. Ja, es gibt auch andernorts schöne, historisch wertvolle Instrumente, doch nirgendwo gleich drei in einem Raum. Und es gibt andere inspirierende Räume, aber dort gibt es keine grossen und bedeutenden Orgeln. Und die Klang-Architektur des Oktogons mit den vier Musikemporen ist einmalig.

Und sonst?
Neben den Instrumenten und dem Raum ist die Musik in der Klosterkirche als Alte-Musik-Reihe ein wichtiger Grund, warum ich da bin. Was Johannes Strobl in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut hat, ist beeindruckend: Ein breites Angebot auch mit ausgefallenen Sachen, die weitab vom Mainstream sind. Ein Ort, wo man so etwas auf die Beine stellen kann, das ist schon etwas Besonderes.

Johannes Strobls Fussstapfen sind gross. Bereitet Ihnen das nicht manchmal Sorge?
Ganz im Gegenteil, das ist eine unglaublich beglückende Ausgangslage. Die Reihe ist in ihrer künstlerischen Ausrichtung etabliert und ich kann ideal daran anknüpfen. Nach und nach werde ich dann meine eigene Handschrift, meinen persönlichen Fokus hinzusetzen. Ich habe keine 360-Grad-Wende vor. Johannes und ich sind uns künstlerisch zudem recht nahe – und wir verstehen uns auch persönlich gut. Immer noch stehen wir regelmässig im Austausch, was sehr bereichernd ist.

ch habe den Eindruck, Sie gehen das sehr sorgfältig an?
Sorgfalt ist ein gutes Wort. Es geht mir nicht zuletzt um ein sorgsames Kennenlernen der Geschichte des Ortes, wie auch des bisherigen Programms. Oft geht es heute ja mehr um die Verpackung als um den Inhalt, mehr um die Optik als um die Substanz. Doch hier gibt es einen echten Schatz, der gepflegt, bewahrt und einer neuen Generation zugänglich gemacht werden will. Sozusagen eine naturgegebene Konstante.

Nicht immer ist alles eitel Freude. Wo gibt es schwierigere Punkte?
Eine Schwierigkeit ist, dass das kulturinteressierte Publikum derzeit insgesamt eher abnimmt. Das betrifft aber alle Institutionen, längst nicht nur Musik in der Klosterkirche. Man könnte sagen, die kulturelle Grosswetterlage befindet sich gesellschaftlich in einem leichten Tief. In einer aufgekratzten Gesellschaft, die stark auf Konsum und Oberflächlichkeit ausgerichtet ist, hat das tiefe Erleben von Kunst keinen leichten Stand. Dabei haben wir dem äusserlichen Spass etwas Wunderbares entgegenzusetzen: die ganz grossen Gefühle, nicht zuletzt echte Freude als eine tief im Inneren entstandene Empfindung. Damit das gelingt, muss unsere Musik für alle zugänglich sein – vom Enthusiasten bis hin zu Menschen, die einfach mal so ins Konzert kommen und ebenso berührt hinausgehen sollen. Dies empfinde ich allerdings als schöne Herausforderung, denn wenn es gelingt, ist das jeweils ein wunderbarer Moment.

Wenn wir von Herausforderungen sprechen, ist nicht auch die Finanzierung von Kultur, ihre Förderung, eine solche?
Die öffentliche Förderung ist immer eine grosse Frage. Wir erreichen ja vor allem ein Nischenpublikum. Anders ausgedrückt: Unsere Konzerte sind zwar gut besucht, wir sind aber nicht Taylor Swift. Die Frage, die sich stellt, ist, wie viele Mittel fliessen sollen. In Muri fällt es mir noch leichter als anderswo zu sagen: Ja, das ist relevant, die Mittel müssen fliessen. Es geht hier auch darum, einen Raum zu vermitteln.

Was konkret meinen Sie damit?
Den sakralen Raum. Heute haben immer weniger Leute einen Zugang zur kirchlichen Ebene. Das liegt nicht zuletzt auch an gesellschaftlichen Veränderungen und an der Sozialisierung. Gerade deshalb ist es wichtig, diesen kulturellen Reichtum zu vermitteln und diese wundervollen Räume hier in Muri zu bewegen und zu bespielen. Lassen Sie mich noch sagen, dass ich seitens Kirchenpflege viel Rückhalt und Wertschätzung für Musik in der Klosterkirche spüre. Das Vertrauen, das man dem künstlerischen Leiter hier entgegenbringt und die Unterstützung, das ist schon toll.

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema. Ich bin ja nicht Fachmann in musikalischen Fragen: Was unterscheidet «Alte Musik» von dem, was wir «klassische Musik» nennen?
Sie sprechen da ein grosses Thema an. Ich versuche mich kurz zu halten: Alte Musik beschreibt weniger einen konkreten Zeitraum als einen Zugang zum Musizieren. Alte Musik versucht der klanglichen Gestalt eines Werks zu seiner Entstehungszeit nahezukommen. Dieses Bestreben ist in der konventionellen klassischen Musik so nicht vorhanden. Es geht also um eine historisch informierte Aufführungspraxis.

Es soll also klingen wie anno dazumal?
Das wäre die Idee. Am Anfang steht natürlich die Neugier: Wie haben Komponisten wie Bach oder Mozart ihre Musik eigentlich gehört und erdacht? Und damit beginnt das Forschen. Wir sind überzeugt davon, dass die Musik durch die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Spielpraxis, den historischen Instrumenten und Stimmungen viel gewinnt: Sie klingt frischer, lebendiger und gewinnt auch an Freiheit. Das klingt auf den ersten Blick nach einem Widerspruch, doch gibt es so zum Beispiel mehr Raum für Improvisation und damit Eigenverantwortung der Musizierenden. Was ich versuche klarzumachen: Es geht keinesfalls um die Imitation einer vergangenen Zeit. Die Musik soll ja heutige Menschen bewegen, berühren oder auch einmal existenziell erschüttern. Die Alte Musik glaubt, dass dies sehr gut gelingt, wenn ausser der erlebten Zeit nichts mehr zwischen den Kunstwerken und uns steht. Denken Sie sich ein altes Gemälde, das können wir, wenn es gut restauriert ist, heute noch so ansehen, wie es damals gemalt wurde. Ja, wir schauen mit unseren heutigen Augen und interpretieren das Bild entsprechend. Doch wir sehen es sozusagen im Original. Das ist es, was Alte Musik versucht.