Magazin Notabene

Kuratorin Sadhyo Niederberger

Sie ist Kunstschaffende – und sie ist Kuratorin. Für das Sinigsen Forum hat sie die derzeitige Ausstellung «sedimentieren, kristallisieren, kondensieren» kuratiert. Ein Gespräch mit der umtriebigen Künstlerin.

April 2023

  • Singisen Forum
  • Persönlich


Sie bezeichnen die Art der Ausstellung als einzigartig: Was ist denn so einzigartig an einer Kunstausstellung?
Einzigartig ist die Idee einer dokumentarischen Ausstellung. Dieses Format kennen wir eher von Ausstellungen aus dem Wissenschaftsbereich und nicht aus dem Kunstkontext. Entsprechend gewagt war es, Kunstschaffende dafür anzufragen: Würden mir diese ihre Werke als dokumentarische Bilder oder Videobeiträge zur Verfügung stellen und auf die Kraft des Originals verzichten?

Und, haben die Kunstschaffenden mitgemacht?
Und wie – ich freue über die grosse Resonanz: Derzeit sind rund 140 Künstler*innen beteiligt – und fast täglich kommen neue hinzu. An der Ausstellung selbst sind rund 150 Dokumente zu Kunstwerken zu sehen. Sie werden erweitert durch Videos, einige Objekte und Malereien. Alle Künstlerinnen und Künstler und Ihre Werke sind übrigens auch im Internet zu sehen unter www.readingcasparwolf.kleio.com.

Sie sprechen im Zusammenhang mit der Ausstellung von einer «Working Library». Was ist das?
Ich habe mir diesen Begriff sozusagen ausgeliehen. Er geht auf den deutschen Kunsthistoriker Aby Warburg (1866-1929) zurück. Der Ausdruck gefällt mir wegen seiner beiden Wortteile: «Working» heisst ja, dass etwas im Prozess, immer noch «working» ist, sich also fortlaufend weiterentwickelt. Das hat auch mit Ihnen als Besucher*in zu tun, denn Sie wählen, was Sie anschauen wollen, worin Sie eintauchen möchten. Der Begriff «Library» verweist auf die Welt der Bücher: Die Ausstellung ist dementsprechend wie ein offenes Buch, aber auch wie eine Bibliothek oder eine Buchhandlung. Ein Ort, an dem ich verschiedenes anschauen und herauszupfen kann, was mich anregt.

Ist Ihre Ausstellung auch etwas für Menschen, die kein spezielles Wissen über Kunst haben?
Ja, auf jeden Fall! Die Ausstellung thematisiert in voller Breite die Landschaft. Die Sorge um unsere Umwelt und die Freude an der Natur beschäftigt viele von uns. Der überdimensionierte Wanderwegweiser im Garten des Klosterareals lädt zu einer Wanderung durch die Landschaften der Ausstellung ein. 

Aber wieso sollte ich eintreten, wenn ich mit Kunst wenig am Hut habe?
Sie finden Werke die Sie ansprechen werden und wo Sie anknüpfen können: Pflanzen, Gärten, Berge, Landschaften. Ich denke, der Naturzugang ist gerade für Menschen, die normalerweise nicht sehr kunstinteressiert sind, der einfachste und auch schönste Zugang. Vorausgesetzt, sie sind bereit, sich herausfordern zu lassen und sich ein kleines bisschen mit Fragen auseinanderzusetzen.

Wie kam es eigentlich zum Titel «sedimentieren, kristallisieren, kondensieren»?
Ich habe nach Begriffen gesucht, welche die Transformationsprozesse der und der Natur beinhalten und vor Augen führen können. Sedimentieren bedeutet Ablagern, ein Prozess, der in riesigen Zeitspannen stattfindet. Sedimente sind auch eine Art Zeitspeicher. Kristallisieren bezieht sich einerseits auf den Kristall, der ebenfalls ein Zeitspeicher, aber auch kurzfristigen Veränderungsprozessen unterworfen sein kann. Denken Sie nur an einen Salzkristall, der sich sehr schnell verändert. Im Kristallinen wird immer auch die Geometrie sichtbar. Zuletzt das Kondensieren, ein Begriff, der das Wasser einbindet. Es ist lebenswichtig für uns Menschen und gleichzeitig kann es für alchemistisch-chemische Veränderungsprozesse stehen. Schliesslich habe ich die Begriffe den drei Räumen der Ausstellung zugeordnet.

Der zweite Teil der Ausstellung beginnt im August unter dem Titel «Rolling Stones». Inwieweit unterscheiden sich die beiden Teile?
«Rolling Stones» wird eine komplett andere Ausstellung sein. Ich werde verschiedene Original-Werke auswählen, die den Stein und die Erdoberfläche dokumentieren. Dabei gibt es keinen Wettbewerb und den Künstler*innen. Ich wähle jene Werke aus, die zum Thema passen. Auch diese Werkschau wird nahbar und berührend sein.

Kurz und knapp: Drei Gründe, warum man «sedimentieren, kristallisieren, kondensieren» gesehen haben sollte.
Erstens, weil hier eine schier unglaubliche Fülle an Beiträgen und künstlerischen Dingen wartet, und Sie auf einen Schlag unglaublich viel über das aktuelle Kunstschaffen zum Thema Landschaft erfahren. Zweitens, weil es Sie wundernimmt, wie die Kuratorin mit dieser Fülle umgeht: Wie kann man so viel auf so kleinem Raum zeigen. Zur zweiten Ausstellung kommen Sie dann drittens, weil die erste Sie neugierig gemacht hat. Hier lernen Sie die Werke in der vollen Kraft des Originals kennen. Sie machen eine völlig neue Erfahrung. Am gleichen Ort, zum selben Thema.